Cybermobbing ist in Deutschland wie auch international weiter auf dem Vormarsch. Die Erosion von Persönlichkeitsrechten im Netz beschleunigt sich stark. Weder in Deutschland noch international wird dieser Entwicklung eine ausreichende Beachtung durch Prävention und Bekämpfung geschenkt. Auch die Anbieter von Social Media Plattformen werden ihrer Verantwortung nicht gerecht und müssen sich stärker am Schutz von Mobbingopfern beteiligen.
So lassen sich die wesentlichen Ergebnisse des internationalen ARAG Digital Risks Survey, der heute in Berlin vorgestellt wurde, zusammenfassen. In dieser ersten länderübergreifenden Trendstudie haben sich die international führenden Wissenschaftler aus Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Spanien und den USA mit den Auswirkungen des Cybermobbings bzw. Cyberbullyings befasst und eine Einschätzung dieses Phänomens und seiner zukünftigen Entwicklungen gegeben.
„Das Ergebnis ist erschreckend und muss uns alle aufrütteln“, so Dr. Catarina Katzer, Leiterin des Institutes für Cyberpsychologie und Medienethik in Köln und Deutschlands führende Expertin zum Thema Cybermobbing und Autorin der Studie. „Cybermobbing droht zur Zeitbombe des Internets zu werden“ so Catarina Katzer, „weil nicht nur Kinder und Jugendliche diesem Phänomen hilflos ausgesetzt sind, sondern zunehmend auch immer mehr Erwachsene Opfer von Cybermobbing werden.“
Damit wird Cybermobbing und Cybergewalt von einem Phänomen der Jugendkultur zu einem gesellschaftlichen Problem aller Altersgruppen. Die im Rahmen des ARAG Digital Risks Survey befragten Wissenschaftler weisen mit Nachdruck auf die wachsende Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Internet hin.
„Durch Cybermobbing und Cybergewalt werden Handlungsmuster vermittelt, erlernt und angewendet, die auf eine systematische Verletzung von Persönlichkeitsrechten abzielen“, bringt Dr. Dr. h.c. Paul-Otto Faßbender, Vorstandsvorsitzender der ARAG SE, eine der zentralen Schlussfolgerungen aus dem ARAG Digital Risks Survey auf den Punkt.
Fehlende digitale Empathie macht die Cyber-Täter stark, so 88 % der befragten Wissenschaftler. Die Handlungsmuster des Mobbings werden dabei virtuell eingeübt, mit großer Tendenz, diese später dann auch „offline“ im realen Leben einzusetzen.
Smartphones sind in allen im Rahmen der Studie befragten Ländern das am meisten genutzte Cybermobbing-Tool und führen damit zu einem deutlichen Anstieg von Cybermobbing-Attacken. Cybermobbing wird damit immer mobiler, wie 93 % der befragten Wissenschaftler bestätigen. Die ständige Verfügbarkeit senkt die Eintrittsschwelle erheblich, Fotos und heruntergeladene Videos erhöhen die Schadenswirkung und den psychischen Druck. Die Forscher sprechen deshalb von Smartphones auch als „Smart Weapons“.
Vor allem bei jüngeren Kindern wirkt Cybermobbing besonders aggressiv: große Öffentlichkeit, Endlosigkeit der Angriffe und keine Rückzugsmöglichkeiten führen zu erheblichen Verletzungen. 84 % der befragten Forscher sehen dies als eine virtuelle Zeitbombe mit unkalkulierbaren Auswirkungen. Jeder 4. Schüler in Deutschland ist bereits mindestens einmal Opfer von Cybermobbing geworden. Mehr als 30 % der Schulen verzeichnen einmal pro Woche einen Fall von Cybermobbing. Die Belastungen der Opfer reichen von psychosomatischen Beschwerden bis hin zu Suizidversuchen.
Die Aufklärungsarbeit in deutschen Schulen ist unzureichend. Nur 16 % der Schulen informieren ausführlich über die Gefahren des Cybermobbing. Institutionelle Maßnahmen zur Aufklärung und Prävention von Cybermobbing sowie Hilfssysteme fehlen flächendeckend an deutschen Schulen.
Haupt- und Gesamtschulen zeigen die geringste Präventionsaktivität, obwohl diese gerade hier besonders nötig wäre.
Der Präventionsstatus an Schulen ist insgesamt in allen untersuchten Ländern mangelhaft. Lediglich in Großbritannien gibt es flächendeckend Aktionspläne an Schulen gegen Cybermobbing. Norwegen hat bereits vor 10 Jahren eine Verpflichtung für Schulen zur Präventionsarbeit eingeführt, die Niederlande folgen diesem Weg seit einem Jahr.
Nahezu alle Forscher (94 %) fordern deshalb den ganzheitlichen Ansatz eines „Präventions-Managements“ mit flächendeckenden Strukturen und Systemen. „Die Schulen geraten massiv unter Druck und stehen mehr oder weniger hilflos diesem Phänomen gegenüber“ unterstreicht Frau Dr. Katzer Dringlichkeit wie Notwendigkeit eines Umdenkens von Politik, Justiz und Kultusbehörden.
Während einerseits die Cybermobbing-Opfer immer jünger werden, breitet sich auf der anderen Seite das Cybermobbing unter Erwachsenen immer weiter aus. Mit entsprechenden Auswirkungen: aufgrund von 5 bis 6 Tagen beruflicher Fehlzeit wegen Krankheit durch Angst, schätzen die Experten den Schaden durch Businessmobbing und Krankheitsfolgekosten auf rund 3 Mrd. Euro pro Jahr, mit wachsender Tendenz und das alleine in Deutschland. Über 90 % der befragten Wissenschaftler sehen Business-Cybermobbing international auf dem Vormarsch.
Wenn man eine Art Länder-Ranking erstellt, führt Großbritannien das Ranking deutlich an. Gerade bezüglich des Präventionsstatus an Schulen scheint es am weitesten zu sein. In der Forschung liegt Großbritannien allerdings mit den USA gleich auf – nicht umsonst sind sie die Pionierländer der Cybermobbing-Forschung, gefolgt von Norwegen und den Niederlanden. Allerdings sind die USA in der Schulprävention, trotz Forschung, noch nicht zufriedenstellend. Deshalb landen sie mit den Niederlanden, das seit 2015 zu Cybermobbing eine schulische Präventionsverpflichtung besitzt, und Norwegen, das seit 10 Jahren Bullying Prävention an Schulen durchführt und aktuell ein Online-Coaching-Programm für Schulen entwickelt, auf dem 2. Platz. Deutschland liegt im Mittelfeld. Im Bereich der Forschung stehen wir den USA, den Niederlanden und Großbritannien in nichts nach. Bei der Umsetzung allerdings hapert es an vielen Stellen. Weit abgeschlagen sind Polen, Italien und Spanien. Sie landen trotz guter Forschungen bei der Umsetzung von Präventionsmaßahmen, der Errichtung von Netzwerken und der Entwicklung von Online-Präventionstools laut Experten auf den hinteren Rängen.
Neben dem Opferschutz, haben sich die beteiligten Forscher nachdrücklich für die Umsetzung eines 10-Punkte-Präventionskataloges ausgesprochen. Wesentliche Elemente dieses Kataloges sind die obligatorische Verpflichtung der Schulen mit der Pflicht zur Prävention (in den Niederlanden seit 2015 Gesetz), die Einführung regionaler Schulnetzwerke, in denen die Schulen gemeinsam Präventionskonzepte entwickeln und umsetzen und die Verabschiedung eines „Cybermobbing Gesetzes“, das auch Business-Cybermobbing einschließt. „Es ist keine Zeit mehr abzuwarten, es ist jetzt Zeit zu handeln“, so der Appell von Frau Dr. Katzer an die gesellschaftliche und politische Verantwortung.
Obligatorischer SOS-Button nimmt die Social Media Provider in die Pflicht
Die befragten Forscher haben sich nachdrücklich für einen umfassenden Präventionskatalog ausgesprochen. Ganz oben auf der Liste der Forscher steht aber der Opferschutz. Wer sich hilflos Cybermobbing-Attacken ausgesetzt fühlt, soll nach Vorstellungen der Forscher über einen SOS-Button, den alle Social Media-Plattform-Betreiber verpflichtend bereitstellen und mit finanzieren müssen, persönliche Hilfe in Anspruch nehmen können. Ebenfalls können den Providern über diesen Button Mobbingfälle gemeldet werden.